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Utopische Emanzipation

Ein Angehoeriger des indigenen Volkes der Lacandonen steuert ein Boot in einer morgendlichen oder abendlichen Seenlandschaft.
Inmitten der Umarmung von Sonne und Mond, Acryl auf Baumwolle, 100 cm x 80 cm, 2011

Unlängst forderte der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador in einer Videobotschaft eine Entschuldigung für die Eroberung und Unterwerfung indigener Völker in Mexiko im 16. Jahrhundert durch die Spanier.

 

In einem offiziellen Antwortschreiben erklärt die Spanische Regierung „Die Ankunft der Spanier vor fünfhundert Jahren in das heutige mexikanische Land kann nicht vor dem Hintergrund zeitgenössischer Überlegungen beurteilt werden“. Ich wage zu bezweifeln, dass eine Beurteilung vor dem Hintergrund zeitgenössischer Überlegungen nicht möglich sei. Im Gegenteil. Ansonsten müssten wir beispielsweise den Nationalsozialismus als ein historisches Phänomen anzusehen, welches aus heutiger Sicht nicht beurteilt werden könne. Oder um in der Zeit der spanischen Eroberung Mexikos im 16. Jahrhundert zu bleiben, könnten wir uns nach Auffassung der Spanischen Regierung eine Beurteilung der spanischen Inquisition, der innerhalb Spaniens insbesondere Juden und Muslime und im Vizekönigreich Neuspanien indigene Völker zum Opfer fielen, nicht erlauben.

 

Aber was meint die Spanische Regierung mit „vor dem Hintergrund zeitgenössischer Überlegungen“? Zielt das etwa auf die von Andrés Manuel López Obrador angestrebte Versöhnung mit den indigenen Völkern Mexikos ab, der, wie es der mexikanische Präsident formulierte, eine Entschuldigung vorausgehen müsse? Vermutlich. Denn nach Meinung der Spanischen Regierung hätten es deren brüderlichen Völker ... immer verstanden, die gemeinsame Vergangenheit ohne Wut und mit einer konstruktiven Perspektive als freie Völker mit einem gemeinsamen Erbe und einer außergewöhnlichen Projektion zu lesen.

 

Mit „brüderlichen“ und „freien Völkern“ kann die Spanische Regierung wohl kaum die indigenen Völker Mexikos gemeint haben. Vielmehr scheint die Spanische Regierung auf einen unveränderlichen Status Quo „brüderlicher“ und „freier Völker“ zu beharren, der die über 500 Jahre andauernde Unterdrückung und Benachteiligung indigener Völker voraussetzt.

 

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Empörung „konservativer“ Vertreter spanischer Parteien und deren Verweis auf die Grausamkeit der Azteken, deren Menschenopfer und auf „La noche triste“, die traurige Nacht vom 30. Juni 1520, in der die spanischen Besatzer aus der aztekischen Hauptstadt Tenochtitlan fliehen mussten. In ihrer Lesart wird die Kolonisierung zur Befreiung der indigenen Nachbarvölker der Azteken umgedeutet. In Wahrheit vergaßen die „Befreier“ schnell ihre Versprechungen gegenüber jenen Völkern einzulösen, die ihnen zum Siegeszug verhalfen.

 

Doch der ablehnenden Haltung der Spanischen Regierung steht nun auch das Versprechen des mexikanischen Präsidenten gegenüber, der sich selbst bei der indigenen Bevölkerung Mexikos entschuldigen will. In der Zukunft wird sich zeigen, ob eine Versöhnung zwischen der Regierung Mexikos und den indigenen Völkern stattfinden und ob ein gemeinschaftliches Leben von Mestizen, Europäischstämmigen und indigenen Völkern auf Augenhöhe ermöglicht werden wird.

 

 

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