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Dix versus Richter

Wasser, Meer, Horizont, Himmel, Wellen, Wolken, Strand
Ausschnitt aus "Nordsee", Acryl auf Leinwand, 100 cm x 80 cm, 2021

 „Wie Sie sehen, sehen Sie nichts!“ So könnte Gerhard Richters Birkenau-Zyklus beschrieben werden. Aber stattdessen werden wir belehrt, was sich unter den abstrakt aufgetragenen Farben verbirgt: ...eine lange und tiefe Auseinandersetzung des Künstlers mit dem Holocaust...der unfassbare Völkermord bleibt unfassbar...nicht abbildbar. So verschwinden unter den Farbmassen Fotografien eines ehemaligen Häftlings, der das Grauen selbst erlebte und dokumentierte. Wir können oder vielmehr sollen das nicht fassen, was Richter künstlerisch erfasst und vor unseren Augen zu verbergen versucht. Geschichte unfassbar und unsichtbar machen ist die Devise. Aber alle klatschen Beifall. Ich nicht. Denn es geht nicht darum, etwas Unfassbares künstlerisch fassbar zu machen, indem es de facto ausradiert wird. Als während des nicht weniger barbarischen Vietnamkriegs das fotografisch dokumentierte Grauen in den Fernsehnachrichten zu sehen war, führte dies letztlich zum Rückzug der US-Truppen aus Vietnam und damit auch zum Ende des Krieges. Wären diese Fotos von Richter übermalt worden, wäre dieser Krieg sicherlich unfassbar geblieben und mit weniger Skrupel in die Verlängerung gegangen.

 

Otto Dix nahm selbst am Kriegsgeschehen teil und erklärte, dass man sich das nicht vorstellen könne, wie es sei, jemanden töten zu können(!). Aber er müsse alles sehen und ja: dokumentieren. Das war sein Selbstverständnis als Mensch und Künstler. Er hat die Schrecken des Krieges und das soziale Elend in den Städten gezeigt.

 

 

Ich selbst will und muss gar nicht das Gefühl kennen, einem ein Bajonett in den Bauch zu rammen. Meine Vorstellung reicht aus, um sagen zu können, das Kriege und die Vernichtung in Auschwitz-Birkenau und anderen Konzentrationslagern Europas schrecklich (gewesen) sind: ein furchtbares Leid für die Opfer wie für die Überlebenden. Aber womöglich will uns Richter das Elend des Völkermords mit seiner Kunst erträglicher machen? Immerhin suggerieren die beigefügten Spiegelarbeiten, dass wir bei allem auch uns selbst betrachten (sollen). So erfordert der Ausstellungsbesuch keinerlei Schminke.

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